16.05.2004
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16.05.2004, Ungebremst von 3 auf 7 Milliarden bis 2012
Der Finanzbedarf für die Verbilligung der Krankenkassenprämien steigt bis 2012 von heute drei auf
fast sieben Milliarden Franken.
Das prognostiziert das Departement von Sozialminister Couchepin.
Die Vorschläge des Bundesrates zum Ausbau der Prämienverbilligungen haben drastische finanzielle Auswirkungen. Gemäss einer Hochrechnung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) steigt der Subventionsbedarf bis zum Jahr 2012 auf 6,9 Milliarden Franken. Dies ist fast doppelt so viel wie die jährlichen Gesamtkosten der Armee. Derzeit zahlen Bund und Kantone unter dem Titel Prämienverbilligung jährlich rund 3 Milliarden Franken an Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Weil die Kantone die Prämiensubventionen sehr unterschiedlich handhaben, schlägt Sozialminister Pascal Couchepin die Definition eines nationalen "Sozialziels" vor. Dies ist einer der Reformvorschläge, die Couchepin nach dem Scheitern der zweiten Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) vorlegte.
Wird das Sozialziel integral umgesetzt, führt es zu den in der BAG-Prognose dargelegten Kostensteigerungen. Die Hochrechnung basiert auf der Annahme, dass die Gesundheitskosten um durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr weiterwachsen.
Aus Angst vor den Mehrausgaben wehren sich die Kantone gegen das nationale Sozialziel. "Die Kantone sollen den Kreis der Berechtigten selber definieren", fordert Kurt Stalder, Sekretär der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren. Auf eidgenössischer Ebene waren die finanziellen Folgen des Sozialziels bisher kaum ein Thema. Die FDP schreibt nun jedoch in ihrer Vernehmlassungsantwort an den Bundesrat, die Prämienverbilligungen drohten zu einem "Fass ohne Boden" zu werden. FDP- Nationalrat Felix Gutzwiller wehrt sich zudem gegen "ein System, das die Hälfte der Bevölkerung zu Subventionsempfängern macht". Schon heute beziehen im nationalen Durchschnitt 33 Prozent der Bevölkerung Zuschüsse für die Krankenkassenprämie. In Appenzell Innerrhoden und Obwalden sind es über 50 Prozent.
Die Prämienverbilligungen wurden Mitte der neunziger Jahre eingeführt. Auch ohne das Sozialziel steigen die Ausgaben seither konstant an - alleine von 1996 bis 2002 von 1,8 auf 2,8 Milliarden Franken. Durch das Sozialziel würde sich dieses Kostenwachstum beschleunigen. Im Jahr 2008 wird ohne Sozialziel mit Kosten von maximal 3,7 Milliarden Franken gerechnet; mit Sozialziel wären es 5,2 Milliarden.
Neue Sozialausgaben in Milliardenhöhe Bundesamt prognostiziert massives Kostenwachstum bei den Prämienverbilligungen Bereits heute bezieht jeder dritte Schweizer Subventionen für seine Krankenkassenprämie. Gemäss neuen Plänen des Bundesrates steigt der Subventionsbedarf innert acht Jahren von 3 auf 7 Milliarden Franken.
Erst seit 1996 gibt es sie, die staatlichen Zuschüsse an die Krankenkassenprämien für Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. In diesen acht Jahren sind die Prämienverbilligungen zu einem der grössten staatlichen Ausgabenposten geworden. Im Jahr 2002 gab der Bund für die Prämienverbilligungen mehr als doppelt so viel Geld aus wie für die Expo 02, nämlich 1,9 Milliarden Franken. Dazu kam eine knappe Milliarde aus den Kantonskassen. Nun will der Bundesrat das System weiter ausbauen. Nach dem Scheitern der zweiten Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) schlägt Sozialminister Pascal Couchepin unter anderem die Einführung eines Sozialziels vor (siehe Box).
"Politisch unredlich" Dieser Vorschlag hat finanzielle Folgen, die bisher kaum beachtet wurden. Gemäss einer Hochrechnung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) würden die Prämienverbilligungen bereits 2005 mehr Steuergelder verschlingen als die Armee, nämlich über 4 Milliarden Franken. In der Folge würde der Bedarf gemäss BAG-Prognose um durchschnittlich 7,2 Prozent pro Jahr ansteigen. 2012 wären bereits 6,9 Milliarden Franken nötig, um das Sozialziel zu erfüllen - Tendenz weiter steigend.
Mit diesen Zahlen haben sich bis jetzt nur wenige Parlamentarier beschäftigt, die Kassenwarte der Kantone jedoch schon. Der Solothurner Finanzdirektor Christian Wanner (fdp.) bemüht die griechische Sagenwelt, um das Problem zu beschreiben: "Die KVG-Revision könnte sich als trojanisches Pferd entpuppen und die Kantone massiv mehr belasten."
Denn der Bund will seinen eigenen Beitrag zur Realisierung des Sozialziels beschränken. Gemäss bundesrätlichem Vorschlag sollen die Bundesbeiträge einmalig um 200 Millionen aufgestockt und anschliessend um jährlich 3 Prozent angehoben werden. Weil die Gesundheitskosten erfahrungsgemäss jährlich um mehr als 3 Prozent ansteigen, sehen die Kantone voraus, dass sie die Differenz zum tatsächlichen Subventionsbedarf selber finanzieren müssen - eine Kostenschere, die sich jedes Jahr weiter öffnet (siehe Grafik). Wanner fürchtet zudem, dass Finanzminister Hans-Rudolf Merz im Rahmen des neusten Sparprogramms die Bundesmittel reduziert.
Auch auf eidgenössischer Ebene werden nun warnende Stimmen laut. Es sei "politisch unredlich", ein Sozialziel einzuführen, ohne die nötigen Mittel bereitzustellen, sagt SP-Nationalrat Jost Gross. Er fordert deshalb, dass der Bund seinen Anteil an den Prämienverbilligungen erhöht. Die SP wolle die Kostenexplosion nicht bagatellisieren. Tatsache sei jedoch, dass immer mehr Menschen durch die Krankenkassenprämien übermässig belastet würden. Bei den Bürgerlichen wächst die grundsätzliche Kritik am Sozialziel. "Bei diesem Modell wurden die langfristigen finanziellen Auswirkungen noch zu wenig analysiert", schreibt die FDP in ihrer Vernehmlassungsantwort an den Bundesrat. Die Vorlage könnte für die Bundes- und Kantonsfinanzen zu einem "Fass ohne Boden" werden. Die vorliegenden Zahlen seien "dramatisch", sagt FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller. "Es kann doch nicht sein, dass wir die Hälfte der Bevölkerung zu Subventionsempfängern machen."
33 Prozent subventioniert Gutzwiller malt nicht übertrieben schwarz. In Appenzell Innerrhoden beziehen schon heute 59,8 Prozent der Bevölkerung Prämienverbilligungen; im nationalen Durchschnitt sind es 33 Prozent. Mit der Einführung eines Sozialziels würde die Zahl der Bezugsberechtigten so lange weiter steigen, wie die Krankenkassenprämien schneller wachsen als die Löhne. Der Sekretär der Finanzdirektorenkonferenz, Kurt Stalder, fürchtet, dass man so "mit Riesenschritten auf einkommensabhängige Prämien zusteuert" - was das Volk unlängst abgelehnt hat.
Beim Bundesamt für Gesundheit ist man sich der Problematik bewusst. "Dass die Ausgaben für die Prämienverbilligungen immer weiter steigen, ist kein Geheimnis", stellt BAG-Vizedirektor Fritz Britt fest - und spielt den Ball an die Kantone zurück. Sie seien zuständig für die Spitäler und deshalb in hohem Masse selber für die Kostensteigerungen verantwortlich. Ausserdem sei im bundesrätlichen Vorschlag eine Notbremse eingebaut.
Diese ermöglicht es den Kantonen, ihre Belastung durch die Prämienverbilligungen einzuschränken, indem sie eine Einkommenshöchstgrenze festlegen. Das heisst: Wer mehr verdient als den Betrag x, der bekommt keine Prämienverbilligung. Dies vermag die Kantone nicht zu beruhigen. Sie argumentieren, dass ein national einheitliches Sozialziel zur Makulatur wird, wenn jeder Kanton nach Gutdünken Höchstgrenzen festlegt. Zudem, meint Wanner, sei es für die Kantonsregierungen schwierig, die Notbremse auch tatsächlich zu ziehen. "Wir stehen unter enormem Druck der Bevölkerung."
--- ENDE Pressemitteilung Krankenkassen: Subventionen für verbilligte Prämien wachsen drastisch ---
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