30.12.2003
Lesedauer: 4 Minuten
30.12.2003, Die Krankenkassen sind in der Schweiz verpflichtet, auch so genannte Sans-papiers, Menschen, die
sich illegal in der Schweiz aufhalten, zu versichern.
Ein Testlauf im Kanton Bern zeigt: Nur die wenigsten tun es.
Die Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) ist eigentlich klar und deutlich: «Sans- papiers, die sich in der Schweiz aufhalten, unterstehen der Versicherungspflicht gemäss dem Krankenversicherungsgesetz (KVG)», hielt das Bundesamt vor einem Jahr in einem Kreisschreiben an die Krankenkassen und die Kantonsregierungen fest. «Es liegt nicht im Ermessen der Versicherer zu entscheiden, wer sich bei ihnen versichern kann und wer nicht.» Weiter hielt das BSV in der Weisung explizit fest, dass die Krankenkassen «verpflichtet sind, Sans- papiers gleich wie alle anderen Personen aufzunehmen». Dabei seien die Krankenkassen zur Verschwiegenheit verpflichtet: Sans-papiers, Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltspapiere in der Schweiz aufhielten, dürften nicht gemeldet oder angezeigt werden, und ein Ausschluss aus der Versicherung würde dem Bundesrecht zuwiderlaufen. Auch hätten Sans-papiers Anrecht auf allfällige Prämienverbilligungen. Wer sich nicht an die Weisungen halte, drohte das BSV in dem Schreiben, müsse mit einer Busse rechnen, wer die Schweigepflicht verletze, mit weitergehenden Strafmassnahmen.
Das BSV hatte die Weisung nach der Überweisung parlamentarischer Vorstösse erlassen und versandt, und weil es «Kenntnis davon erhalten hat, dass viele Versicherer ihrer Pflicht, Personen zu versichern, die sich ohne gültige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten, nicht nachkommen».
Fast alles beim Alten
Offenbar zeigten die Weisungen noch keine grosse Wirkung. Denn bis heute, ein Jahr später, hat sich an der Situation nicht viel verändert: «Wir haben festgestellt, dass sich die Krankenkassen zumindest im Kanton Bern nicht an die Weisungen halten», sagt Maja Minder vom Sans-papiers Kollektiv. «Ein Testlauf bei den Krankenkassen hat ergeben, dass von 22 Krankenkassen gerade mal drei mit sich verhandeln liessen», erklärt Minder. 19 Kassen hätten die Sans-papiers bereits beim ersten telefonischen Kontakt abgewiesen.
«Sie begründen die Ablehnung mit der fehlenden Wohnsitzbescheinigung der Sans-papiers.» Nur drei Krankenkassen waren bereit, Sans-papiers zu versichern. Mit verschiedenen Aktionen versucht das Sans-papiers-Kollektiv nun auf die Missstände aufmerksam zu machen. «Wir fordern, dass das BSV Massnahmen ergreift, damit sich die Krankenkassen an seine Weisung halten», sagt Minder. Nicht versicherte Sans-papiers würden medizinische Leistungen oft erst sehr spät in Anspruch nehmen. Dabei werde ihnen nicht der kantonale Tarif, sondern der doppelt so hohe «Ausländertarif» verrechnet, der Tarif für Personen, die im Ausland leben. «Es ist auch schon vorgekommen, dass medizinische Leistungen verweigert wurden», erzählt Minder. Zudem ist ein Spitalaufenthalt für Sans- papiers stets mit Angst verbunden: Personalien wurden teilweise weitergeleitet.
Dann kommt die Rechnung ...
Was nicht krankenversicherten Sans-papiers blüht, wenn der Spitalbesuch unabwendbar wird, hat ein älterer Sans-papier unlängst erfahren: Er musste sich einem operativen Eingriff unterziehen, eine Geschwulst im Hals entfernen lassen. Nur weil das Kollektiv für ihn bürgte, wurde er überhaupt behandelt - zum Ausländertarif. Jetzt muss er die Rechnung von 10 000 Franken Monat für Monat abstottern. Es habe Mut gebraucht, ins Spital zu gehen, sagt der Mann. «Ich hatte Angst, verraten zu werden - wie so oft.»
Eine Anlaufstelle für Frauen
Für Frauen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und ärztliche Hilfe brauchen, gibt es im Kanton Bern eine Anlaufstelle, die Medizinische Beratung für illegalisierte Frauen (Mebif). «Wir verfügen über ein Netz von rund 30 Ärzten, die gratis oder für einen symbolischen Betrag Sans- papiers behandeln», sagt Ranja Bahnan von der Mebif. Einer dieser Ärzte ist Fritz Minder. Zweimal im Monat hat er unentgeltlich in einem Kirchgemeindehaus Sprechstunde gehalten. «Ich helfe, ein Menschenrecht zu gewähren, das nicht respektiert wird», sagt er. Laut Ranja Bahnan arbeiten Allgemeinärzte, Zahnärzte und Gynäkologen für die Mebif. Schwierig werde es dann, wenn die Frauen ein Spital aufsuchen müssten. «Auch sie haben grosse Angst, verraten zu werden», erklärt Ranja Bahnan. «Immer wieder werden ihre Daten von Spitälern, mitunter auch systembedingt, weitergeleitet.» So fänden gerade Geburten meist in den eigenen, geheimen vier Wänden statt: «Unsere Hebamme muss immer wieder Hausgeburten begleiten - auch wenn das Risiko dabei grösser ist.»
--- ENDE Pressemitteilung Wenns um Sans-papiers geht, verweigern viele Krankenkassen ihre Pflicht ---
Weitere Informationen und Links: