Wenn zwei sich streiten, muss der Patient bezahlen

03.05.2004


03.05.2004, Weil sie sich gegenseitig und untereinander misstrauen, haben Krankenkassen und Ärzte für die elektronische Datenübertragung im Gesundheitswesen konkurrierende Infrastrukturen aufgebaut.

Dies auf dem Rücken der Patienten, die den monströsen Apparat zur Rechnungslegung bezahlen sollen.

Am 1. Januar 2004 hat mit der Einführung des neuen Arzttarifs Tarmed im schweizerischen Gesundheitswesen endgültig das elektronische Zeitalter Einzug gehalten. In zwei Jahren spätestens müssen Ärzte, Spitäler, Apotheken und Labors ihre jedes Jahr 45 Millionen Rechnungen den Krankenkassen auf elektronischem Weg übermitteln. Dank dem Wegfall von Administrations- und Portokosten liessen sich gemäss Experten jährlich 200 bis 300 Millionen Franken einsparen, ohne dass im Gesundheitswesen Abstriche gemacht werden müssen. Ein grosser Teil dieses Potenzials droht jedoch ungenutzt zu bleiben, da Kassen und Ärzte sich einen erbitterten Kampf um die Form der Datenübermittlung liefern.

Die Akteure haben sich gut auf das elektronische Zeitalter vorbereitet. Allerdings nicht gemeinsam, sondern in einer Vielfalt von Firmen, Plattformen und Tools, die zurzeit untereinander nicht kompatibel sind. Besonders früh waren die Versicherer. Bereits 1994 gründeten die Suva, die Krankenkasse Helsana und IBM die Medidata AG in Luzern. Inzwischen gehören weitere grosse Versicherer wie Winterthur, CSS, Concordia und Groupe Mutuel, aber auch andere Leistungserbringer wie Spitäler oder der Schweizerische Apothekerverband zu den Aktionären. Die Mehrheit der Aktien liegt aber immer noch in den Händen der grossen Kassen. Diese wollen, dass alle Leistungserbringer ihre Rechnungen über die von Medidata geschaffene Plattform anliefern, über einen einzigen Kanal also.

Doch diese Absicht kann nicht einmal in den eigenen Reihen durchgesetzt werden. So weigert sich die Centris AG, die ebenfalls Eigentum der Krankenversicherer ist und welche für die Swica und für andere Kassen als Informatikdienstleister wirkt, der Medidata Geld für die Übermittlung von Rechnungen zu bezahlen. Medidata verlangt pro gelieferter Rechnung 50 Rappen. In der Anfangsphase hatte das Unternehmen den Ärzten 50 Rappen bezahlt, um ihnen vor der Tarmed- Einführung einen Anreiz für das elektronische Abrechnen zu geben. Statt einem intermediären Unternehmen Übermittlungsgebühren zu bezahlen, will die Centris Spitäler, Ärzte und Apotheken lieber direkt anbinden. «Sowohl Leistungserbringer wie auch Kassen müssen sich an den Kosten beteiligen. Das Sparpotenzial der elektronischen Abrechnung muss ganz den Patienten zugute kommen», sagt Kurt Hasen, Mitglied der Geschäftsleitung von Centris.

Angst vor Kassenmonopol Neben Mediadata versuchen auch andere Intermediäre, sich ein Stück vom wachsenden Kuchen abzuschneiden. In die weltweit tätige EDS haben elf Spitäler ihre Informatik ausgelagert. Und auch die Ärzteschaft, der die Medidata als ein Teufelswerk der Versicherer erscheint, hat eine ernsthafte Konkurrenz aufgebaut. Denn für Urs Stoffel, den Präsidenten der Zürcher Ärztegesellschaft, ist klar, dass die Kassen über Medidata ein Monopol aufbauen wollen: «Die grossen Versicherer haben Medidata während langer Zeit subventioniert und rund 20 Millionen Franken in sie hineingebuttert. Jetzt wollen sie diese Fehlinvestitionen auf dem Buckel der Patienten retten.»

Daher hat die Ärzteschaft eine eigene elektronische Abrechnung aufgebaut. Über die Firma Newindex, die sich vollständig im Besitz der Ärztevereinigung FMH und der kantonalen Ärztegesellschaften befindet, wurden in der ganzen Schweiz elf Trust-Center aufgebaut, denen sich rund 6500 Ärzte angeschlossen haben. Gemäss Stoffel können diese Zentren den Datenschutz nur gewähren, wenn der Arzt die Rechnung direkt an den Patienten sendet, auf dass dieser sie dann an die Kasse weiterleite (das sogenannte «Tiers-Garant-System»). Noch wichtiger ist für die Ärzte allerdings, dass sie über die Trust-Center «Datenparität» mit den Versicherern erlangen. Zurzeit verfügt einzig der Dachverband der Krankenkassen, Santésuisse, über eine aussagekräftige Kostenstatistik. Im Hinblick auf zukünftige Verhandlungen sind die Ärzte brennend an eigenem statistischem Material interessiert. Der Taxpunktwert im Tarmed, die Überwachung der Kostenneutralität und eine allfällige Aufhebung des Vertragszwangs basieren auf diesen Daten. Bei Santésuisse hat man nichts gegen gleich lange Spiesse und könnte mit den Trust-Centern leben. «Es kommt aber unter keinen Umständen in Frage, dass die Finanzierung dieser Einrichtungen den Prämienzahlern aufgebürdet wird», sagt Santésuisse- Sprecher Peter Marbet und rät den Versicherern dringend, keine Verträge einzugehen. Medidata wäre laut Marketing- und Verkaufsleiter Daniel Ebner bereit, die Daten der Trust-Center zu übermitteln, wenn sich Leistungserbringer und Kassen einigten.

- Wenn sich die Kontrahenten nicht annähern, droht die elektronische Rechnungslegung zum Debakel zu werden. - Doch die Ärzte stellen sich auf den Standpunkt, dass nur die über ihre Zentren gelieferten Rechnungen qualitativ so aufbereitet sind, dass sie von den Krankenkassen direkt weiterverwendet werden können. Für diese «Veredelung» wollen sie bezahlt werden. In den Verhandlungen zwischen den Trust-Centern und einzelnen Kassen wird über Beträge zwischen 1.20 und 2 Franken diskutiert. Die meisten Grossen in der Branche, die als Teilhaber von Medidata gebunden sind, halten sich an die Empfehlung des Dachverbandes. Verhandlungen mit den Trust-Centern wurden geführt, auch um Einblick ins Geschäftsmodell des «Gegners» zu erhalten. Allerdings hat die nicht an Medidata gebundene Visana mit dem Trust-Center der Berner und Solothurner Ärzte einen Vertrag abgeschlossen. Gemäss Sprecher Christian Feldhausen verhandelt auch die Groupe Mutuel erfolgversprechend mit mehreren Trust-Centern, insbesondere in der Romandie: «Interessant sind vor allem Partner, die Zusatzleistungen erbringen können, um die Effizienz zu steigern.» Pikantes Detail: Die Groupe Mutuel ist auch an der Medidata beteiligt, und Thomas Grichting von der Groupe Mutuel sitzt im Medidata-Verwaltungsrat.

Teure Metastasen In der Ärzteschaft ist man über die Vielzahl von Trust-Centern und die damit verbundenen Kosten nicht nur erfreut. So bezeichnet der Allgemeinpraktiker Felix Tapernoux aus Rüti (ZH) die elf regionalen Trust-Center als «Metastasen der Newindex». Aus seiner Sicht hätte es genügt, wenn der FMH drei Zentren in den Sprachregionen aufgebaut hätte: «Alles andere ist reine Gschäftlimacherei.» Tapernoux befürchtet, dass die Ärzte, die sich für 700 Franken als Aktionäre einkaufen oder Solidarbeiträge bezahlen mussten, dieses Geld nie zurückerhalten werden, falls die meisten Krankenkassen die Zusammenarbeit mit den Trust-Centern weiterhin verweigern. Selbst wenn dereinst Entschädigungen fliessen sollten, würde wohl ein grosser Teil des Geldes von Verwaltungskosten aufgefressen worden sein.

Zurzeit sind die Fronten zwischen den meisten Kassen und den Ärzten verhärtet. Wenn sich die Kontrahenten nicht annähern, dann droht die elektronische Rechnungslegung zum Debakel zu werden. Zwar würden ab 2006 alle Leistungserbringer nach demselben Standard elektronisch abrechnen, doch müssten viele Rechnungen aufgrund der inkompatiblen Infrastrukturen ausgedruckt und eingescannt werden.

--- ENDE Pressemitteilung Wenn zwei sich streiten, muss der Patient bezahlen ---


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