Staatliche Einheitskasse für die Schweiz?

23.08.2002


23.08.2002, 1. Ausgangslage Seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) ist die Idee der Einheitskasse immer wieder aufgeworfen worden, insbesondere von gewerkschaftlichen Kreisen und von Parlamentariern des linken Parteienspektrums.

Auch in der Presse wird das Thema regelmässig zur Sprache gebracht, vor allem bei der Ankündigung von Prämienerhöhungen. Auf bundespolitischer Ebene ist 1999 ein entsprechender Vorstoss behandelt und abgelehnt worden. In verschiedenen Westschweizer Kantonsparlamenten ist in jüngster Zeit die Einführung einer kantonalen (Einheits-)Kasse diskutiert worden, und es gibt Bestrebungen zur Einführung einer regionalen westschweizerischen Einheitskasse. Schliesslich hat sich die SP Schweiz an ihrer Delegiertenversammlung vom 22. Juni 2002 für die Einführung einer „einheitlichen, nationalen Krankenkasse“ ausgesprochen. Die bürgerlichen Bundesratsparteien lehnen die Idee einer Einheitskasse hingegen ab und setzen auf die Verstärkung der Wettbewerbselemente in der Krankenversicherung, wobei für die CVP die Idee kantonaler Krankenkassen zumindest als Variante diskutabel ist.

2. Politischer Status - Der Nationalrat hat im Juni 1999 die parlamentarische Initiative Fasel für die Schaffung einer schweizerischen Einheitskasse mit 91 gegen 64 Stimmen abgelehnt. - Nationalrat Zysiadis hat im September 2000 eine parlamentarische Initiative zur Schaffung einer nationalen Einheitskasse eingereicht. Die Behandlung steht noch aus. - Das Genfer Kantonsparlament hat im Mai 2002 einen Vorstoss der Linksallianz zur Einführung einer kantonalen Krankenkasse mit 43 gegen 35 Stimmen verworfen. Einen ähnlich lautenden Vorstoss hat das Freiburger Kantonsparlament im Juni 2002 deutlich abgelehnt. - Im Kanton Tessin hat die Lega dei Ticinesi im Frühjahr 2002 eine Initiative zur Schaffung einer kantonalen Krankenkasse eingereicht. - Das Parlament des Kantons Waadt wird sich demnächst mit einem Vorstoss für eine kantonale Einheitskasse befassen und zudem entscheiden müssen, ob der Kanton Waadt mit einer Standesinitiative eine Änderung des KVG verlangen soll, um kantonale Einheitskassen möglich zu machen.

3. Grundsätzliche Überlegungen - Fragwürdige Annahmen der Befürworter Die Befürworter einer Einheitskasse begründen ihre Forderung vor allem mit Argumenten wie tieferen Verwaltungskosten, Vereinfachung der Krankenversicherung für die Versicherten, mehr Macht bei Tarif- und Preisverhandlungen, mehr Transparenz über Leistungen und Kosten sowie ganz generell dem Versagen des bisherigen Systems im Kampf gegen die Kostenentwicklung, wobei sie besonders betonen, dass der Wettbewerb bisher wirkungslos geblieben sei. - Probleme an der Wurzel packen statt Einheitskasse fordern Eine nähere Analyse der Argumente zeigt aber, dass die Vorwürfe an das bisherige System daneben zielen, die Erwartungen an die Einheitskasse unrealistisch sind und vor allem das Hauptübel, nämlich die ständig steigenden Gesundheitskosten, nicht an der Wurzel gepackt wird. Für die Kostenentwicklung ist nicht das Versicherungssystem mit den autonomen Krankenversicherern verantwortlich, sondern die heutigen Rahmenbedingungen wie Vertragszwang, Kostenverschiebungen von der öffentlichen Hand auf die Krankenversicherung, Überkapazitäten in vielen Bereichen, wachsende Ansprüche der Versicherten, Anreize zur unnötigen Mengenausweitung. - Einheitskasse gefährdet gut funktionierendes System Das bisherige Krankenversicherungssystem belässt, wenn auch in zu engem Rahmen, den Akteuren einen gewissen Spielraum. Es hat sich trotz der Kostenprobleme im grossen und ganzen bewährt. Insbesondere garantiert es eine gute qualitative Versorgung der ganzen Bevölkerung. Die Versicherer leisten dazu mit ihrer professionellen Arbeit einen wesentlichen Beitrag. Reformen sind zweifellos notwendig, aber sie müssen in Richtung Förderung wirtschaftlicher Anreize und wettbewerblicher Elemente gehen. Statt nach einem neuem System zu rufen, sollten den Versicherern vielmehr die nötigen Instrumente zur Verfügung gestellt werden, damit sie im Rahmen des heutigen Systems ihre Aufgaben optimal erfüllen können. In Ländern mit staatlichen Gesundheits- und Versicherungssystemen wächst hingegen die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den wachsenden Versorgungslücken (vor allem in Grossbritannien, aber seit einiger Zeit auch in Dänemark). - Einheitskasse bringt Diktat und Bürokratie statt Wettbewerb Ändern die bisherigen Spielregeln nicht, so wird auch eine Einheitskasse gegenüber den Leistungserbringern, die mit Vertragszwang und staatlich garantierten Tarifen geschützt sind, sowie den Kantonen, die Kosten vom Steuer- auf den Prämienzahler überwälzen, wenig ausrichten können. Die TARMED-Verhandlungen zeigen sogar, dass eine öffentlich rechtliche Versicherungsanstalt wie die SUVA eher zu Zugeständnissen gegenüber den Leistungserbringern bereit sein kann als private Krankenversicherer. Werden aber die Regeln zu Gunsten der Einheitskasse geändert, besteht die Gefahr eines Machtmissbrauchs. Die Folgen sind: Politische Tarife, Preise und Prämien, Globalbudgets, unbefristete Zulassungsbeschränkungen und Leistungsabbau. Die Krankenversicherer hingegen treten dafür ein, dass der Wettbewerb Druck auf die Leistungserbringer ausübt und nicht das Diktat einer Einheitskasse. Fällt das Recht der Leistungserbringer, automatisch zu Lasten der Krankenversicherer abrechnen zu dürfen, entsteht genügend Druck, damit Leistungen wirtschaftlich und in guter Qualität erbracht werden. - Einheitskasse bevormundet Versicherte Alle in der Schweiz wohnhaften Personen, ob jung oder alt, gesund oder krank können heute in ihrem Kanton unter den zahlreichen Krankenversicherern frei wählen. Sie können alle sechs Monate wechseln, wenn sie mit ihrem Versicherer unzufrieden sind. Die Konkurrenz zwingt die Versicherer, die Serviceleistungen zu verbessern, die Verwaltungskosten im Rahmen zu halten und die Kostenkontrollen zu intensivieren, wenn sie sich im Markt behaupten wollen. Eine staatliche oder halbstaatliche Einheitskasse kennt hingegen keine Konkurrenz, die sie zu besseren Leistungen zwingt. Wenn sie schlecht funktioniert, was auch bei Staatsbetrieben vorkommt (Eidg. Versicherungskasse), haben die Versicherten keine Wahl, sie sind dem Monopolisten ausgeliefert. - Verwaltungskosten sind bereits sehr tief Die Verwaltungskosten in der obligatorischen Krankenversicherung sind seit Jahren rückläufig. Sie betragen nur noch 6 Prozent der Ausgaben (gegenüber 8 Prozent im Jahre 1996). Die immer wieder kritisierten Werbekosten fallen dabei kaum ins Gewicht, und die Kosten für die Kassenwechsel sind kleiner als die Vorteile, welche die Wechsel den Versicherten bringen (vgl. dazu Studie Oggier „Wettbewerb statt Einheitskasse“,1999). Für eine Einheitskasse besteht bei den Verwaltungskosten gegenüber dem heutigen System kaum mehr ein Sparpotenzial. Im Übrigen zeigt das Beispiel der SUVA, bei der die Verwaltungskosten rund doppelt so hoch sind wie in der Krankenversicherung, dass Monopolkassen nicht kostengünstiger arbeiten. - Nationale Einheitskasse schwächt Sparwillen der Kantone Die Einführung einer nationalen Einheitskasse, wenn sie mit landesweit einheitlichen Prämien- oder Beitragssätzen verbunden ist, nimmt keine Rücksicht mehr auf kantonale Kostenunterschiede. Die Versicherten in Kantonen mit tieferen Gesundheitskosten finanzieren damit die Versicherten in teuren Kantonen mit. Das schwächt das Kostenbewusst-sein und den Sparwillen sowohl in Kantonen, die profitieren, wie in jenen, die bezahlen. - Kantonale Kassen verzerren Wettbewerb In verschiedenen Kantonen der Westschweiz und im Tessin gibt es Bestrebungen für die Einführung kantonaler Kassen im Rahmen des bisherigen pluralistischen Versicherungssystems. Die Krankenversicherer fürchten die staatliche Konkurrenz nicht, wenn sie sich mit gleich langen Spiessen im Markt behaupten muss. Sie lehnen aber Kassen entschieden ab, die direkt oder indirekt (Defizitgarantie statt Reservenbildung) vom Kanton subventioniert werden. Denn damit wird der Wettbewerb verzerrt und das bestehende System mit autonomen Krankenversicherern untergraben. - Einheitskasse bringt Kostenschub Selbst wer für eine stärkere staatliche Regulierung in Gesundheitswesen und Krankenversicherung eintritt, darf sich von einer Einheitskasse keine kostendämpfende Wirkung versprechen. Es ist im Gegenteil mit jahrelangen Problemen in der Übergangsphase vom alten zum neuen System und in der Einführungsphase des neuen Systems zu rechnen. Die bisherigen Versicherer, denen die Verantwortung für die Geschäftsführung entzogen wird, werden ihr Interesse an einer aufwändigen Kostenkontrolle verlieren und die neue Einheitskasse wird für längere Zeit genug damit zu tun haben, für das Tagesgeschäft funktionsfähig zu werden, die Kostenkontrolle wird notgedrungen zweite Priorität haben. Zudem wird es schwierig sein, die Fachleute, die bisher in selbstständigen Unternehmen tätig waren, für ihre Aufgaben in einem Staatsbetrieb (oder halbstaatlichen Monopolbetrieb) zu motivieren. Deshalb ist mit der Einführung einer Einheitskasse keine Kostenstabilisierung, sondern ein Kostenschub zu erwarten.

4. Fazit Die Einheitskasse ist kein Mittel zur Kostendämpfung. Ihre Einführung würde im Gegenteil die bestehenden Instrumente zur Kostenkontrolle schwächen und die Kräfte von Versicherern und Gesundheitspolitikern während Jahren absorbieren. Die wenigen, bereits vorhandenen wettbewerblichen Ansätze, insbesondere der Wettbewerb unter den Krankenversicherern würde ausgeschaltet und die Einführung der notwendigen wirtschaftlichen Anreize ins Krankenversicherungssystem verhindert. Einen Einfluss auf die Kosten könnte eine Einheitskasse nur nehmen, wenn sie Tarife, Preise, Leistungen und Zulassung der Leistungserbringer einseitig diktieren könnte. Eine solche Machtkonzentration auf einen einzigen Akteur des Gesundheitswesens ist jedoch nicht im Interesse eines qualitativ hochstehenden Gesundheitswesens, der mögliche Machtmissbrauch unerwünscht. santésuisse zieht dagegen ein freiheitliches System autonomer Krankenversicherer vor, in dem durch gezielte Reformen vermehrt die Eigenverantwortung der Leistungserbringer so wie der Versicherer und der Versicherten gefördert wird und wirtschaftliche Anreize für das Erbringen effizienter und qualitativ hochstehender Leistungen geschaffen werden. Hauptelemente einer solchen wettbewerblich bestimmten Reform sind die Aufhebung des bestehenden Vertragszwangs und die monistische Spitalfinanzierung.

--- ENDE Pressemitteilung Staatliche Einheitskasse für die Schweiz? ---


Weitere Informationen und Links:


Erfasst auf
 Krankenversicherung.ch

Newsletter abonnieren
Auf  diesem Link abonnieren Sie unseren Newsletter und sind stets aktuell informiert.


Eigene News publizieren
Haben Sie eine aktuelle Firmen­infor­mation oder ein Angebot, dass Sie hier publizieren möchten?
Auf  diesem Link erfassen Sie die entsprechenden Informationen.

Swiss-press.com

Der Onlineverlag HELP Media AG publiziert seit 1996 Konsumenten­in­for­mationen für Schwei­zerinnen und Schweizer.

offene Jobs
Referenzen
  Online-Shop

HELP Media AG in Social Networks
Facebook X (früher Twitter) Instagram LinkedIn YouTube

Abo kaufen

Publizieren Sie Ihre Medienmitteilungen im Abonnement und profitieren von zwei geschenkten Mitteilungen.

ABO 10 Medienmitteilungen (+2 geschenkt)
Jetzt Abo kaufen »

Mitteilung publizieren

Um Ihre eigene Mitteilung auf Swiss-Press.com zu publizieren, klicken Sie auf folgenden Link:

Jetzt eigene Mitteilung erfassen »

Zertifikat:
Sadp.ch

Kontakt

Email:
info@help.ch

Adresse:
HELP Media AG
Geschäftshaus Airgate
Thurgauerstrasse 40
8050 Zürich


Copyright © 1996-2024 HELP Media AG, Geschäftshaus Airgate, Thurgauer­strasse 40, CH-8050 Zürich. Alle Angaben ohne Gewähr. Im­pres­sum / AGB, Nut­zungs­bedin­gungen, Daten­schutz­er­klärung