Krankenkassenprämien sollen nur noch um sechs Prozent steigen

25.01.2004


25.01.2004, Als Direktor des Bundesamtes für Gesundheit wacht Thomas Zeltner über die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung.

Seit Anfang Jahr ist er auch für die Krankenkassenprämien zuständig. Zeltner erklärt, welche Mittel er gegen das Prämienwachstum sieht, weshalb er am straffreien Hanfkonsum festhält, Aids-Tests für Asylbewerber erwägt und den Tabakpreis weiter erhöhen will.

«Bund»: Herr Zeltner, was dürfen die Prämienzahler vom neuen Chefzuständigen für die Krankenversicherung erwarten?

THOMAS ZELTNER: Es muss gelingen, das jährliche Prämienwachstum im heutigen Umfang wegzubringen. Nachdem im Parlament ein Reformpaket gescheitert ist, müssen wir die Kostenspirale durch eine Serie von Einzelmassnahmen bremsen und einen vernünftigeren Umgang mit den Ressourcen erreichen. Wir hoffen, das Prämienwachstum auf 4 bis 6 Prozent drücken zu können. Wir führen jetzt eine breite Konsultation durch, um die Akzeptanz denkbarer Einzelreformen zu testen. Im Vordergrund steht zunächst das Stopfen legislativer Löcher bei der Spitalfinanzierung, beim Risikoausgleich und Ärztestopp. Weiter diskutiert wird aber etwa auch über Anreize zur Förderung von Hausarztmodellen. Nach unserem Fahrplan soll das Parlament schon dieses Jahr über die eine oder andere Gesetzesvorlage beraten können.

Rasche Vorschläge braucht es zum Zulassungsstopp für neue Arztpraxen, weil dieser im Juli 2005 ausläuft. Wird der Ärztestopp verlängert oder durch ein neues Regime abgelöst?

Entschieden ist nichts. Die laufenden Konsultationen sollen zeigen, was politisch machbar ist. Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten: Entweder lassen wir den Ärztestopp einfach auslaufen oder das Parlament verlängert ihn. Oder aber es löst den Ärztestopp durch eine Lockerung des Vertragszwanges ab. Demnach könnten nicht mehr automatisch alle Ärzte zulasten der Grundversicherung abrechnen.

Die Ärzteschaft wird sich weiterhin gegen die Lockerung des Vertragszwangs wehren, notfalls mit dem Referendum.

Das gescheiterte Reformpaket umfasste so viele unterschiedliche und komplizierte Sachverhalte, dass es in einem Abstimmungskampf schwierig geworden wäre, den Stimmberechtigten alles genügend zu erklären. Kommt aber eine Lockerung des Vertragszwangs als Einzelreform vors Volk, wäre es sicher einfacher, die nötige Informationsarbeit zu leisten.

Sie sind von Haus aus selber Mediziner. Haben Sie Verständnis für den Widerstand Ihrer ehemaligen Berufskollegen?

Eigentlich sehe ich das Problem nicht. Wenn meine Krankenkasse in der Vertragsfreiheit meinen Hausarzt aus irgendeinem Grund nicht mehr unter Vertrag nimmt, kann ich problemlos zur nächsten Kasse wechseln, die mit meinem Arzt weiterhin zusammenarbeitet. Falls ein Arzt

«Ich gebe zu, wir stecken beim Aidstest für Asylbewerber in einem medizinisch- ethischen Dilemma.»

von keiner Kasse mehr unter Vertrag genommen wird, handelt es sich um ein schwarzes Schaf, das entweder besonders unökonomisch oder besonders schlecht arbeitet. Um diesen Arzt trauert sicher kein Patient.

Die Ärzte warnen, die Vertragsfreiheit führe wegen der ungewissen Karriereperspektiven zu einem Ärztemangel.

Dem ist zu entgegnen, dass es in gewissen Fachrichtungen und gewissen Landesgegenden an Ärzten fehlt, also im heutigen Vertragszwang. Das ist auf die allgemeinen Arbeits- und Lebensbedingungen von Ärzten zurückzuführen. In Randregionen zum Beispiel ist die Last der Notfalldienste sehr gross, weil sie schlecht verteilt werden kann. Hier braucht es organisatorische Massnahmen. Der Mangel in gewissen Fachbereichen wiederum hat mit den Verdienstmöglichkeiten zu tun. Hausärzte und Kinderärzte verdienen schlechter als Ärzte in technischen Disziplinen, weshalb diese attraktiver sind. Hier wird der neue Arzttarif Tarmed etwas Gegensteuer geben.

Das Bundesamt für Gesundheit denkt über Aidstests für alle Asylbewerber nach. Kollidiert hier die Gesundheitspolitik nicht mit der Asylpolitik? Was passiert mit einem infizierten Asylbewerber, der in der Schweiz mit einer Therapie begonnen hat, dessen Gesuch dann aber abgewiesen wird? Gibt es nicht eine medizinische Ethik, diesen Menschen weiterzubehandeln?

Lassen Sie mich vorausschicken: HIV-positive Asylsuchende sind für die öffentliche Gesundheit in der Schweiz kein Problem, weshalb auf generelle Massnahmen bisher verzichtet wurde. Aids bekommt man nicht, sondern man

«Ich hoffe immer noch, dass der Ständerat an der Entkriminalisierung des Cannabiskonsums festhält.»

holt es sich. Anders verhält es sich zum Beispiel mit der Tuberkulose, die unbedingt schon an der Grenze erkannt und der Asylsuchende behandelt werden muss, weil dieser sonst andere Menschen ansteckt. Zurück zu Ihrer Frage: Natürlich müssen wir uns überlegen, wie viel wir bereit sind, in die Diagnose und Therapie von HIV-positiven Asylbewerbern zu investieren. Das sind ganz schwierige Fragen. Die gesundheitspolitischen Aspekte müssen auf jeden Fall strikt vom Asylverfahren getrennt sein.

Aber diese Trennung ist in der Praxis nicht so einfach. Wird die Schweiz nicht zum Zielland von Aidskranken, wenn diese bei uns mit einer Therapie rechnen können?

Wir müssen Lösungen finden, die keine Sogwirkung haben. Es darf nicht sein, dass die Schweiz zum Wunschreiseland von Asylsuchenden wird, die sich hier behandeln lassen wollen. Das könnten wir uns schon rein finanziell gar nicht leisten.

Aber was nützt eine Therapie, wenn der betroffene Asylbewerber plötzlich zurück in seine Heimat muss? Ist es moralisch vertretbar, eine Diagnose zu stellen, aber keine Therapie folgen zu lassen oder diese plötzlich abzu- brechen?

Erstens muss nicht jeder positive Aidstest in eine Therapie münden. Zweitens stellt sich das Problem schon heute, zum Beispiel bei Asylbewerben, die eine Nierentransplantation nötig hätten. Hier kommen wir zu grundsätzlichen Fragen der Ungerechtigkeit oder Gerechtigkeit beziehungsweise der Chancengleichheit im Gesundheitswesen.

Was passiert heute mit einem Asylbewerber, der ein Nierenleiden hat?

So ein Fall wird individuell abgeklärt, und wenn keine unmittelbare Notwendigkeit für eine Transplantation besteht, wird der Mann einfach auf seine Niereninsuffizienz hingewiesen.

Wenn die Diagnose «HIV-positiv» nicht zur vollen Therapie führt: Was ist der Nutzen dieser Tests?

Die betreffenden Menschen wissen dann, dass sie mit dem HIV-Virus leben. Wir beginnen vielleicht mit einer Therapie, aber wenn der negative Asylentscheid kommt, muss die betreffende Person die Therapie in ihrem Heimatland fortsetzen.

Wir reden hier vor allem von Schwarzafrikanern. Diese Menschen haben in ihrer Heimat meist keine Therapiemöglichkeit.

In gewissen Ländern sind die Therapiemöglichkeiten zunehmend gewährleistet. Aber ich gebe zu, wir stecken hier in einem medizinisch-ethischen Dilemma. Hier kommt zusätzlich die Frage des Zugangs zu Medikamenten in Entwicklungsländern ins Spiel.

Sie sind ein engagierter Befürworter des straffreien Hanfkonsums. Im Nationalrat ist die Liberalisierung aber stecken geblieben. Sehen Sie Möglichkeiten, die Vorlage zu retten?

Ich persönlich bleibe dabei, dass die heutige gesetzliche Regelung schlecht ist. Sie hat dazu geführt, dass je nach Kanton die Praxis sehr unterschiedlich ist. Zudem hat sie den negativen Effekt, dass die Verantwortung einfach auf Polizei und Justiz abgeschoben werden kann, obwohl doch in erster Linie Eltern und Schulen gefordert wären. Die gut gemeinte Strafbarkeit des Hanfkonsums hat nicht viel Gutes gebracht. Ich hoffe deshalb immer noch, dass der Ständerat, der jetzt am Ball ist, an der vorgesehenen Entkriminalisierung festhält.

Trotzdem: Irgendein Zückerchen für die Skeptiker im Nationalrat braucht es doch, damit diese ohne Gesichtsverlust ihre Meinung ändern können?

Es gibt Vorschläge für ein neues Opportunitätsprinzip beim Hanfkonsum. Nach heutigem Prinzip ist der Konsum strafbar, aber der Richter entscheidet im Einzelfall über eine Anzeige. Denkbar wäre, dass neu der Bundesrat auf Verordnungsebene eine nationale Opportunität definiert und etwa festlegt, dass nur noch der Konsum im öffentlichen Raum Strafverfolgung auslöst. Aber alle diese Möglichkeiten sind meiner Meinung nach schlechter als die saubere Entkriminalisierung des Konsums.

Zu einem andern Suchtmittel, dem Tabak: Wie verträgt sich ein Tabakwerbeverbot, das Sie befürworten, mit einer liberalen Gesellschaft?

Wenn Sie schon die liberale Gesellschaft ansprechen, kann man sich auch fragen, wie die Bestrafung von Cannabiskonsum da hinein passt. Beim Tabak geht es um die Frage von weitergehenden Werbeeinschränkungen. Die Tabakwerbung ist heute alles andere als frei. Sie dürfen weder am Fernsehen noch am Radio noch in Jugendzeitschriften werben. Die Frage ist, ob das Ausmass der heutigen Einschränkungen richtig ist. Aufgrund vieler Studien wissen wir: wenn wir den Tabakkonsum senken wollen, müssen wir die Werbung weiter einschränken.

Zum Beispiel?

Als nötig erachten wir ein Werbeverbot auf Plakaten und in den Kinos. In den Printmedien ist sie schon auf ein Minimum reduziert, weil sie für die Tabakindustrie nicht interessant ist. Im Kino werden die Jugendlichen besser erreicht.

Nochmals zur Grundsatzfrage: Soll nicht jeder für seine Gesundheit selber verantwortlich sein?

Eigenverantwortung ist sicher ein wichtiges Element. Doch die unbeschränkte Bewerbung von gesundheitsgefährdenden Produkten ist kaum irgendwo zugelassen. Wir haben auch keine Werbung für rezeptpflichtige Medikamente. Und niemand spricht davon, Werbung für Handfeuerwaffen zuzulassen oder für Cannabis, sollte das Parlament der Entkriminalisierung zustimmen. Wir haben also den Sonderfall Tabak, der ein sehr gesundheitsschädigendes Produkt ist. Weitergehende Werbeeinschränkungen sind nach unserer Meinung hier berechtigt.

Von einem Werbeverbot für Tabak wollte das Parlament aber nichts wissen. Wie geht es weiter?

Inzwischen ist das Plakatwerbeverbot in verschiedenen Kantonen zum Thema geworden. Das haben wir gar nicht erwartet. Genf zum

«Niemand spricht davon, Werbung für Handfeuerwaffen zuzulassen.»

Beispiel hat es eingeführt, in andern Kantonen laufen ähnliche Bestrebungen. Ich bin überzeugt, schon aus Gründen der europäischen Harmonisierung werden sich weitere Werbeeinschränkungen früher oder später auch in der Schweiz durchsetzen.

Welche Rolle spielt beim Tabak die Preispolitik?

Internationale Erfahrungen zeigen, dass mit den drei Massnahmen Preis, Werbebeschränkungen und gute Präventions- und Ausstiegsprogramme der Tabakkonsum deutlich gesenkt werden kann. Heute stehen wir in der Schweiz aber noch schlechter da als die vorbildlichen europäischen Länder, die den Tabakkonsum unter 20 Prozent gesenkt haben. Wir sind noch über 30 Prozent.

Das Parlament hat letztes Jahr Preiserhöhungen für Tabakwaren zugestimmt. Sind weitere zu erwarten?

Letztes Jahr hat das Zigarettenpäckli um 30 Rappen aufgeschlagen. Das Eidgenössische Finanzdepartement, das für Preiserhöhungen zuständig ist, kennt unsere Haltung. Wir halten weitere Aufschläge für notwendig. Dafür spricht auch, dass andere Länder wie Frankreich den Zigarettenpreis vor kurzem massiv angehoben hat.

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Thomas Zeltner

Thomas Zeltner, 1947 in Bern geboren und aufgewachsen, hat an der Universität Bern seine Studien in Recht und Medizin mit dem Doktorat abgeschlossen. Bevor er 1991 Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wurde, arbeitete er mehrere Jahre als Leiter Stab Medizin des Berner Inselspitals . Seit 2004 ist der Mediziner und Jurist neben seiner bisherigen Funktion im BAG oberster Verantwortlicher für die Abteilung Krankenversicherung, die auf Beschluss von Innenminister Pascal Couchepin aus dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) ausgegliedert und ins Gesundheitsamt integriert wurde. Zeltner ist verheiratet und lebt in Bern. (clb)

--- ENDE Pressemitteilung Krankenkassenprämien sollen nur noch um sechs Prozent steigen ---


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