28.10.2004
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28.10.2004, Entlastung für Familien - administrative Vereinfachung
Von Regierungsrat Markus Dürr, Luzern * Im Rahmen der Debatte zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes haben die kantonalen Gesundheitsdirektoren vorgeschlagen, die Krankenkassenprämien für Kinder bis 18 Jahre abzuschaffen (NZZ 7. 9. 04). Wie der Autor im folgenden Artikel darlegt, sollen mit dieser Massnahme vor allem Familien entlastet und der Ausgleich zwischen den Generationen der veränderten Situation angepasst werden.
Das Krankenversicherungsgesetz sieht drei Stufen von altersabhängigen Prämien vor: Kinder (0 bis 18 Jahre), junge Erwachsene (19 bis 25 Jahre) und Erwachsene (ab 26 Jahre). Die Höhe der Prämien stimmt dabei aber keineswegs mit der Höhe der Kosten überein. Obwohl die Kosten mit dem Alter stark zunehmen, bezahlen alle Erwachsenen gleich viel. Es findet also ein Ausgleich zwischen Jung und Alt statt. Diese sogenannte Generationensolidarität ist vom Gesetzgeber gewollt und ist auch sinnvoll.
Veränderte Kostenstruktur In den letzten Jahren hat sich die Kostenstruktur aber derart stark verändert, dass heute eine Korrektur notwendig ist. Die Kosten für die unter 55-Jährigen steigen viel weniger schnell als jene der über 55-Jährigen. Ab dem Rentenalter steigen sie beinahe exponentiell. Die Summe, die von der jüngeren Generation zur älteren verschoben wird, wird deshalb jedes Jahr grösser. Durchschnittlich nimmt sie um 200 bis 250 Millionen Franken pro Jahr zu. Im letzten Jahr waren es 4,25 Milliarden Franken. Jede 19- bis 55-jährige Person hat durchschnittlich 1000 Franken in den "Solidaritätstopf" bezahlt und jede über 55-jährige Person hat statistisch rund 2000 Franken bezogen; unabhängig vom Vermögen oder Einkommen.
Daneben haben sich auch die demographischen und sozialen Strukturen stark verändert. Immer weniger Junge bezahlen für immer mehr Ältere. Die finanzielle Situation der älteren Generation wird dank der mehrstufigen Altersvorsorge allgemein immer besser, während die aktive Generation zunehmend in Schwierigkeiten gerät. Das Armutsrisiko liegt heute vor allem bei den "working poor" und bei den Alleinerziehenden, immer mehr aber auch bei den übrigen Familien mit Kindern.
Familien sind die Leidtragenden Für Familien ist das gegenwärtige Finanzierungssystem der Generationensolidarität besonders stossend. Eine Familie mit drei Kindern bezahlt heute mit ihren Prämien etwa 2000 Franken jährlich mehr in die Krankenversicherung ein, als sie selber Kosten verursacht. Die Folgen sind offensichtlich: Immer mehr junge Leute und Familien sind auf Prämienverbilligung angewiesen. Obwohl diese laut Gesetz nur für Personen in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen vorgesehen ist, beziehen in einigen Kantonen bereits mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Prämienverbilligung. Fast die Hälfte aller Haushalte mit Kindern benötigt Prämienverbilligung. Bei den Haushalten ohne Kinder (inkl. Rentner) sind es dagegen nur knapp 20 Prozent.
Und damit wird das System grotesk: Die junge Generation subventioniert die ältere inzwischen so stark, wie das der Gesetzgeber kaum vorausgesehen hat. Nicht selten müssen nur deswegen die Prämien dieser jungen Generation wieder über die individuelle Prämienverbilligung subventioniert werden. Dazu braucht es einen riesigen staatlichen Apparat. Und in absehbarer Zeit wird ohne Gegenmassnahme nur noch eine Minderheit der Schweizer Bevölkerung ohne individuelle Prämienverbilligung auskommen. Das System wird damit absurd.
Ungerechtigkeit korrigieren Die Gesundheitsdirektoren-Konferenz will diese Ungerechtigkeiten und Unsinnigkeiten korrigieren, und zwar dort, wo die Ursache liegt. Ihr Modell ist einfach und problemlos umsetzbar: - Kinder bis zum 18. Altersjahr werden prämienfrei mit versichert. - Personen von 19 bis 25 Jahren bezahlen nur die halbe Prämie der Erwachsenen. - Personen ab 26 bezahlen die volle Prämie. - Die Kosten dieser Massnahmen werden in die Prämien eingerechnet und können damit über den bestehenden Risikoausgleich unter den Versicherern ausgeglichen werden. - Die Kantone richten weiterhin Prämienverbilligungen gemäss ihrem Sozialziel aus.
Dass die Familien entlastet werden müssen, ist heute offensichtlich und weitgehend unbestritten. Mit dem Wegfall der Kinderprämien würde jede Familie schon ab dem ersten Kind um monatlich knapp 30 Franken entlastet. Mit jedem weiteren Kind entfallen rund 70 Franken Monatsprämien. Aber selbst im neuen System würde eine Familie mit drei Kindern noch einen Betrag an die Generationensolidarität bezahlen. Erst ab dem vierten Kind würde sie zur Nettobezügerin.
Die Gruppe der 19- bis 25-Jährigen ist meistens noch in Ausbildung. Mit der hälftigen Prämie könnten sie um gut 50 Franken pro Monat entlastet werden. Und selbst dann bezahlen sie noch mehr, als sie kosten.
Weniger Administration Die Generationensolidarität soll also nicht abgeschafft werden. Bloss die Familien mit Kindern und allenfalls die 19- bis 25-Jährigen sollen nicht mehr so viel an die ältere Generation bezahlen müssen wie bisher. Der Eigenfinanzierungsgrad der Personen ab 55 würde mit dem neuen Modell lediglich von 60 auf etwa 65 Prozent steigen. Die Erwachsenenprämien würden mit dem vorgeschlagenen Modell um durchschnittlich 9,8 Prozent oder ungefähr 26 Franken pro Monat steigen. Dieser Aufschlag ist sachlich vertretbar und für die Betroffenen in aller Regel auch tragbar. Wer den Aufschlag nicht leisten kann, erhält Prämienverbilligung. Bei Bezügern von Ergänzungsleistungen würde der Anstieg vollständig kompensiert, weil die durchschnittlichen Krankenkassenprämien als Ausgaben angerechnet werden.
Ein ganz wesentlicher Punkt am Vorschlag der Gesundheitsdirektoren ist die Vereinfachung der Administration. Die Bürokratie für die Prämienverbilligung ist nicht zuletzt auch wegen der häufigen Mutationen bei Familien mit Kindern enorm. Die Zahl der Bezüger von Prämienverbilligungen könnte bei einer Prämienbefreiung der Kinder um etwa einen Drittel gesenkt werden. Das vorgeschlagene Modell würde es den Kantonen auch ermöglichen, die heute geltenden Sozialziele beizubehalten, statt die Hürde für die Prämienverbilligungen jährlich höher zu setzen.
Kein Giesskannenprinzip Mit dem vorgeschlagenen Modell wird kein Geld verteilt. Es werden bloss sinnlose Geldflüsse gestoppt oder zumindest eingedämmt. Die Subventionierung der Gesundheitskosten der älteren Generation durch die jungen Erwachsenen und Familien wird etwas verringert. Dafür kann der Aufwand für die Prämienverbilligung wesentlich reduziert werden. Familien werden rasch und effizient entlastet. Mit einer verblüffend einfachen Regelung kann grosse Wirkung erzielt werden. Ganz nebenbei sei daran erinnert, dass unter dem alten Kranken- und Unfallversicherungsgesetz Kinder nicht selten prämienfrei zusammen mit den Eltern versichert waren. Ganz so neu ist der Vorschlag also gar nicht.
* Der Autor ist Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektoren-Konferenz (GDK).
--- ENDE Pressemitteilung Für Abschaffung der Kinderprämien ---
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