29.07.2004
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29.07.2004, Helsana, CSS und nun sogar Visana: Billigkassen boomen wie nie zuvor.
Weit über 300 000 Versicherte haben für 2004 ihre Krankenkasse gewechselt.
Der Grund: Die Versicherer locken mit neuen Billigangeboten. Selbst die ehemalige Skandalkasse Visana drängt ins Geschäft.
Jedes Jahr das gleiche. Lied: Die Prämien für die obligatorische Krankenversicherung steigen happig - auch für 2005 wieder um bis zu sechs Prozent. Um zu sparen, sehen sich immer mehr Versicherte nach einer billigeren Kasse um. Auf 2004 wechselten weit über 300000 Grundversicherte den Anbieter. Allein 80 000 gingen zum Billig-Marktführer Groupe Mutuel, der mit seiner Mehrkassenstrategie enorm wächst. Deshalb werden laufend neue Billigkassen gegründet. Als Erste sprang die Helsana auf diesen Trend auf. Seit der Branchenleader seine günstigere Progrès sowie die 2001 gegründeten Discounter Sansan und Avanex mit entsprechendem Aufwand vermarktet, steigen die Versichertenzahlen wieder.
2005 dürfte auch die CSS auf der Seite der Gewinner stehen. Die Nummer 2 der Branche übernahm die 1 2 000 Kunden der behördlich geschlossenen Accorda. Deren ehemalige Versicherte werden der neu gegründeten Billigkasse Arcosana zugeführt. Obendrein ging die CSS eine Partnerschaft mit der in der Romandie tätigen Auxilia ein. Ihre Tarife liegen beispielsweise im Wallis unter dem CSS- Standard. Am spektakulärsten ist der Coup der Visana. Laut einem Urteil des Versicherungsgerichts aus dem Jahr 1999 ist der Berner Kasse bis 2009 untersagt, in acht Kantonen aktiv zu werden. Per 1999 zog sie sich aus den beiden Appenzell, aas Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Neuenburg und Thurgau zurück.
Nun gründete das Management im Februar den Billiganbieter Sana 24. Zurzeit läuft das Verfahren zur Vergabe einer Konzession für den Krankenversicherungsbetrieb. Laut dem stellvertretenden Direktionspräsidenten der Visana, Urs Roth, soll die Sana 24 bereits ab 2005 aktiv werden. Die Anforderungen sind hoch. Die Sana 24 muss von der Muttergesellschaft unabhängig sein.
Vom Boom der Billigkassen profitiert nur, wer aktiv wird. Nicola Waldmeier vom VZ Vermögenszentrum rät: "Die Versicherten sollten alljährlich zum billigsten Anbieter wechseln. Damit lässt sich viel Geld sparen." Auch ältere Versicherte können wechseln. In der Grundversicherung gilt im Gegensatz zu den Zusatzversicherungen ein Aufnahmezwang. Letztere darf man erst kündigen, wenn ein neuer Versicherer die Aufnahme zu gleichen Konditionen schriftlich zugesagt hat.
Wer seine Grund- und Zusatzversicherung stets beim gleichen Anbieter abschliessen möchte, sollte wenigstens die Grundversicherung stets zur billigsten Gruppenkasse transferieren, betont Waldmeier. 2004 kann man damit bei der Groupe Mutuel beim Abschluss einer Mindestfranchise bis zu 1080 Franken sparen. Wer seine obligatorische Krankenversicherung von der Helsana zur Progrès, Sansan oder Avanex gezügelt hat, zahlt bis zu 576 Franken weniger. ___
Der Befreiungsschlag der Visana-Chefs Die Berner Kasse will wieder in der ganzen Schweiz vertreten sein. Jetzt will die Visana eine Billigkasse lancieren. Mit der neu gegründeten Sana 24 will sie in die acht Kantone zurückkehren, aus denen sie sich per 1999 zurückgezogen hat. Der Visana ist die Rückkehr laut Gerichtsbeschluss bis 2009 verboten.
Sechs Jahre lang hat Visana-Chef Johannes Hopf sein Krankenversicherungsunternehmen unauffällig, aber effizient geführt. Der Berner Krankenkasse geht es heute finanziell blendend. Doch ihr Versichertenbestand in der obligatorischen Krankenversicherung wird Jahr für Jahr älter und teurer. Das vergrault immer wieder jüngere Versicherte. Anfang 2004 hatte die Visana noch 443000 Versicherte in der obligatorischen Krankenversicherung. 1996 waren es über eine Million. Der damalige Kassenchef Rudolf Brülhart hatte versucht, mit Dumpingprämien auf Kundenfang zu gehen, was Verluste in dreistelliger Millionenhöhe zur Folge hatte.
Der Rückzug der Visana führte zu Prämienerhöhungen Im August 1998 gab die Visana bekannt, dass sie sich in den beiden Appenzell und in Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Neuenburg sowie Thurgau aus der Grundversicherung zurückziehe. 100 000 Versicherte mussten sich eine neue Kasse suchen. Der Thurgauer SVP-Regierungsrat Roland Eberle ärgert sich noch heute darüber. Denn die Versicherer mussten für die übernommenen Kunden Reserven und Rückstellungen bilden, was zu Prämienerhöhungen führte. Das Eidgenössische Versicherungsgericht stützte 1999 das Verdikt der Aufsichtsbehörde, der Visana in den acht Kantonen die Betriebsbewilligung für zehn Jahre zu entziehen.
Nun plant die Visana ein Come-back: Gegründet wurde die Sana24, die Ende Februar ins Handelsregister eingetragen wurde. Deren aktueller Verwaltungsratspräsident, der stellvertretende Direktionsvorsitzende der Visana, Urs Roth, bestätigt, dass ein Konzessionsgesuch eingereicht worden ist, damit die Sana 24 schweizweit Krankenversicherungen anbieten darf. Die Anforderungen an die Visana sind hart. "Der neue Versicherer darf keinerlei personelle oder finanzielle Verflechtungen mit einer anderen Kasse haben, welche die obligatorische Grundversicherung durchführt", sagt Daniel Wiedmer vom Bundesamt für Gesundheit: "Er darf auch kein Tochterunternehmen einer Holding sein. Das Unternehmen muss über eine eigene Geschäftsführung verfügen."
Vorausgesetzt wird auch, dass keine Visana-Vertreter in der Sana24 Einsitz nehmen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gibt es laut Wiedmer keinen Grund, der Kasse eine Betriebsbewilligung zu verweigern. Die neue Kasse soll deshalb gemäss Roth über eine eigenständige Geschäftsleitung, eigenes Personal und eine eigene Infrastruktur verfügen. Anbieten wird die Sana24 im Gegensatz zu den Billigkassen von Helsana und CSS nicht nur die soziale Krankenversicherung, sondern auch Zusatzversicherungen.
Die Visana möchte ihre Sana24 bereits per 2005 lancieren. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Bevor Bundesrat Pascal Couchepin die Konzession erteilen kann, müssen erst die Prämien bewilligt werden. Das geschieht in der Regel Ende September. Zudem ist politische Gegenwehr aus den Kantonen zu erwarten, aus denen sich die Visana 1998 zurückgezogen hat. Eberle wettert: "Das ist eine Sauerei. Ich erwarte, dass das EDI dieser Kasse keine Konzession erteilt."
CSS geht Partnerschaft mit der Walliser Kasse Auxilia ein Der Politiker kritisiert, dass eine sol-che Billigkasse zu einer weiteren Entsolidarisierung unter den Versicherten führt. Diesen Trend verstärkt die CSS mit der Lancierung der Arcosana. Sie soll die 12 000 Kunden der Accorda aufnehmen. Ihnen wie den Sana-24-Versicherten muss in der Grundversicherung vorerst in jedem Kanton eine durchschnittliche Prämie angeboten werden. Solche Prämien sind trotzdem meist billiger als die des Mutterhauses. Die Luzerner haben zudem mitderAuxilia eine Partnerschaft vereinbart. Die in der Romandie tätige Walliser Kasse mit rund 17000 Versicherten will durch die Zusammenarbeit ihr Zusatzversicherungsgeschäft ausbauen. Die CSS verstärkt ihre Präsenz in der Westschweiz. Der Auxilia-Stiftungsrat soll den Versichertenbestand über einen Makler mehreren Deutschschweizer Versicherern angeboten haben. Für die Übernahme habe er gemäss Kassen-Insidern gut vier Millionen Franken gefordert. Ob und wie viel die CSS für die Partnerschaft bezahlen wird, bleibt offen. Über die Finanzierung des Deals wurde Stillschweigen vereinbart.
KOMMENTAR Der Wettbewerb um die billigste Kasse ist teuer
Die Groupe Mutuel hat die Jagdsaison mit einem Paukenschlag eröffnet. In Inseraten kündigt die Walliser Krankenkassengruppe an, 100 Millionen Franken aus den Reserven einzusetzen, um die Prämienerhöhung im nächsten Jahr abzufedern. Das sind im Schnitt 148 Franken für jeden der 674000 Versicherten. Deswegen müssten die Mitgliedskassen im Durchschnitt 2005 nur um 1,5 Prozent aufschlagen. Statt bis sechs Prozent wie Konkurrenten.
Mit dem Einsatz von Reserven Prämienerhöhungen dämpfen: Daran sind die Visana, die CSS und die Helsana gescheitert. Wegen massiver Verluste mussten sie später ihre Prämien umso stärker anheben. Dies führte dazu, dass jüngere, gesündere Versicherte zu Billiganbietern wieder Groupe Mutuel wechselten.
Das Walliser Konglomerat setzt in jedem Kanton eine "Kampfkasse" ein, die mit Tiefprämien zum Halali auf die gesunden Risiken bläst. Um nun selbst wieder jüngere Versicherte anlocken zu können, gründen die Verliererkassen auch neue Billigfirmen. Finanziert wird diese Risikoselektion mit Marketinggeldern aus dem Zusatzversicherungsgeschäft. Vermittler, auch dubiose, profitieren von hohen Kommissionen für die Verschiebung der stets gleichen, wechselbereiten Versicherten.
Dieser Wettbewerb ist auch aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Dummheit. Möglich macht ihn ein schlecht ausgestalteter Risikoausgleich. Kassen mit vielen älteren Versicherten erhalten von den Konkurrenten mit jüngeren Kunden zu wenig Geld. Um die höheren Gesundheitsleistungen ihrer älteren Klientel zu berappen, müssen Kassen wie die Visana höhere Prämien verlangen.
Weil der Risikoausgleich die Billigeren zu wenig kostet, lohnt sich für sie die Jagd nach gesunden Versicherten. Um dies zu unterbinden, müssen National- und Ständerat den Risikoausgleich nicht nur verlängern, sondern endlich verbessern. Dann sind die Prämien der Billigkassen nicht mehr tiefer als diejenigen für kostensparende Hausarztmodelle oder Health
Maintenance Organizations, kurz HMO. Die Versicherten erhalten einen Anreiz für eine teilweise Preisgabe ihrer freien Arztwahl. Ihr Rabatt auf der Prämie korrespondiert mit einer entsprechenden Einsparung auf der Kostenseite. Damit wird der stetige Anstieg der Gesundheitskosten zumindest gebremst. Und damit sind auch die Prämieneinsparungen nachhaltig. Davon kann bei den Marketinggags der Billigkassen keine Rede sein.
--- ENDE Pressemitteilung Jetzt kommen die Discounter-Krankenkassen ---
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