Diesen Herbst dürften gut 300'000 Versicherte die Kasse gewechselt haben.
Alle Jahre wieder. Die Krankenkassen kündigen massive Prämienaufschläge an, das Gejammer geht los und wenig passiert.
Wie wenig politisch passiert, hat der Nationalrat gestern mit seinem Nein zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes erneut gezeigt. Doch auch bei den Versicherten passiert wenig. Trotz breiten Klagen über die hohen Prämien liegt der Marktanteil von Sparmodellen mit beschränkter Arztwahl (HMO, Hausarztsysteme) nur bei etwa 8 Prozent. Solange wir uns den Luxus der freien Arztwahl leisten wollen, scheinen die Klagen immer noch weit grösser als die Leiden.
Sparen könnten die Versicherten auch, indem sie zu einer günstigeren Kasse wechseln. Das führt per Saldo zwar kaum zu einem Spareffekt (die billigeren Kassen sind nicht in erster Linie wegen höherer Effizienz billiger, sondern weil sie im Schnitt gesündere Versicherte haben), doch zunächst entlastet es das Portemonnaie des Wechslers. Das Beharrungsvermögen ist allerdings gross. In einem durchschnittlichen Jahr, so schätzen Marktbeobachter, wechseln lediglich etwa 3 Prozent der Versicherten (gut 200'000 Personen) ihre Krankenkasse. Als Anstoss für einen Wechsel braucht es in der Regel einen Prämienschub von mindestens 10 bis 20 Prozent.
Heuer drohte allerdings ein solcher Schub. Insgesamt fällt zwar die Prämienerhöhung für 2004 im Schnitt (faktisch gut 7 Prozent) etwas geringer aus als in den beiden Vorjahren (je fast 10 Prozent), doch zwei Sondereffekte brachten für manche eine böse Überraschung: die «Umzonung» diverser Gemeinden in eine teurere Prämienregion und die Senkung der Maximalrabatte auf die höheren Jahresfranchisen. Wer in eine teurere Prämienregion umgeteilt wurde und auch noch seinen Franchisenrabatt beschnitten sah, musste im Extremfall mit einem Prämienschub von 25 bis 35 Prozent rechnen.
«Bedeutend mehr Anfragen»
Die Kündigungsfrist ist Ende November abgelaufen. Eine Umfrage deutet darauf, dass in teurer gewordenen «Umzonungsgebieten» der Wechslerstrom in der Tat zugenommen hat. Insgesamt eine starke Zunahme meldet die Branchenführerin Helsana. Ihre Zahlen für die Grundversicherung: bisher 100'000 Zuzüge, 60'000 Abgänge, 1,1 Millionen Bestand. Dies seien deutlich höhere Werte als im Vorjahr. «Wir haben bedeutend mehr Anfragen und Offerten als in früheren Jahren», heisst es auch bei der Swica: Konkrete Zahlen gebe es aber erst nach Verarbeitung aller Mutationen im Januar.
Einen Wechselstrom etwa im Umfang der Vorjahre melden dagegen die Kassen CSS, Concordia und Visana.
Die Berner Visana hat dabei weiter an Boden verloren. Ihre aktuellsten Zahlen: Rund 18'000 Abgänge, etwa 6000 Zuzüge, Bestand knapp 449'000.
Noch bedeckt hält sich die Groupe Mutuel. Die Gruppe erklärt lediglich, dass sie ihren Bestand zum Jahresbeginn von 592'000 bis Anfang 2004 auf «über 650'000» steigern werde. Rechnet man aber davon den Zuzug der Kasse Panorama in die Gruppe ab (61'000 Mitglieder), deutet dies nicht mehr auf einen Nettozuwachs.
4 bis 5 Prozent hatten genug
Gut 120'000 Zuzüge und gut 100'000 Abgänge: Das ist das Total des Wechslerstroms der drei Grosskassen Helsana, CSS und Visana. Bei einem Mitgliederbestand dieser Kassen von total 2,5 Millionen Anfang Jahr ergibt dies eine Wechslerquote von 4 bis 5 Prozent. Mit etwa einer solchen Quote sei auch für die Gesamtschweiz zu rechnen, mutmasst die Helsana. Dies entspräche 300'000 bis 350'000 Wechslern. Es könnten auch noch etwas mehr sein, da kleinere Kassen laut Marktbeobachtern tendenziell überdurchschnittliche Wechslerquoten haben.
Der Vergleichsdienst Comparis hat nach eigenen Angaben heuer über 200'000 Offerten verschickt «eine Steigerung von fast 50 Prozent» gegenüber dem Vorjahr. In früheren Jahren haben laut Comparis im Schnitt 43 Prozent aller Offertanfrager später erklärt, tatsächlich die Kasse gewechselt zu haben oder dies noch zu tun.
60 bis 90 Millionen Mehrkosten
Ein Kassenwechsel, so sagt die Branche, verursache Verwaltungskosten von durchschnittlich 200 bis 300 Franken. Mal 300'000 ergäbe für heuer 60 bis 90 Millionen Franken. Angesichts des Prämienvolumens in der Grundversicherung von total über 14 Milliarden Franken ist das keine Katastrophe, aber auch kein Pappenstiel.
Das Dilemma: Die Wechslerei ist zwar schlecht (mehr Kosten), doch die Möglichkeit des Wechselns ist gut (sollte das Kostenbewusstsein der Kassen kitzeln). Im stark regulierten Gesundheitswesen ist der Handlungsspielraum der Kassen allerdings gering. An einer Senkung der Gesamtkosten sind sie (solange die politische Drohung «Einheitskasse» nicht zu real ist) nicht sonderlich interessiert ebenso wenig wie Ärzte, Spitäler, Patienten und Politiker. Bleibt nur eine Hauptgruppe als Hoffnungsträger: die jammernden Prämien- und Steuerzahler.
--- ENDE Pressemitteilung Über 300'000 Wechsler? ---
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