13.12.2003
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13.12.2003, Wegfall des Inländerschutzes bringt Druck auf die Tarife
Das Schweizer Zahnärztegewerbe schaut unruhigen Zeiten entgegen, denn ab Mitte 2004 dürfen in der Schweiz auch Zahnärzte aus dem EU/EFTA-Raum praktizieren. Bisher hielten sich die Zahl der jährlich rund 90 frisch Ausgebildeten und die der Pensionierungen die Waage. Dazu kommen jetzt über 500 neu zugelassene ausländische Zahnärzte. Viele drängen in die schon heute stark überversorgte Stadt Zürich.
Das Wort Konkurrenzkampf kennen die rund 3500 Schweizer Zahnärzte nur vom Hörensagen. Ihre Auftragsbücher waren stets auf Monate hinaus voll, und wer beim Abrechnen nicht über die Stränge schlug, dem blieb die Kundschaft treu. Über Jahre hielten sich die Zahlen der neu ausgebildeten Berufsleute und die der Pensionierungen die Waage, und die Versorgungsdichte ist gut. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einer guten Versorgung bei 1800 Einwohnern pro Zahnarzt. In der Schweiz liegt diese Zahl zurzeit bei 2090. Diese geringere Dichte erklärt sich damit, dass in der Schweiz wie in anderen Industrieländern vorbeugende Massnahmen schon vor Jahrzehnten Fuss gefasst haben, dass Schweizer im weltweiten Vergleich also überdurchschnittlich gesunde Zähne haben.
Die Zahnärzte sind indessen ungleich über die Schweiz verteilt. Im Kanton Zürich ist die Dichte der Praxen weit höher, kommt hier doch auf rund 1300 Einwohner ein Zahnarzt. In Zahlen bedeutet das Folgendes: In 899 Praxen und Kliniken sind gegenwärtig 983 Behandler (volle Stellen Zahnärzte und Assistenten) tätig. Aber auch innerhalb des Kantons ist die Verteilung "extrem schief", wie es Kantonszahnarzt Werner Fischer nennt. Während in der Stadt Zürich pro 850 Bewohner ein Zahnarzt am Werk ist, liege die Zahl auf dem Land mit rund 2000 Personen bei einem vernünftigen Mass. Dieses Ungleichgewicht sei auch in den anderen Schweizer Zentren zu beobachten.
530 EU-Zahnärzte vor der Tür
Dieser bisher sehr stabile Markt droht jetzt aus Sicht der Zahnärzte aus den Fugen zu geraten. Als Folge der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union fällt Mitte 2004 der sogenannte Inländerschutz. Zahnärzte aus EU- und EFTALändern können die Gleichwertigkeit beantragen, welche ihnen das Recht zum Praktizieren in der Schweiz gibt. Das Interesse an solchen Bewilligungen ist offenbar gross: Nach Angaben von Hans-Caspar Hirzel, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft (SSO), haben die Schweizer Behörden seit Mitte 2002 rund 530 EU-Zahnärzten diese Gleichwertigkeit erteilt. Wohl lasse sich nicht sagen, ob jeder dieser Zahnmediziner tatsächlich eine Praxis eröffne. Tatsache' sei aber, dass die Schweizer Tarife für Zahnärzte aus dem EU-Raum "sehr attraktiv" seien.
Nach Angaben der Zürcher Standesorganisation liegt ein durchschnittlicher Umsatz pro Zahnarzt und Stunde zwischen 350 und 500 Franken. Unabhängig davon, wie viele Zahnärzte tatsächlich von aussen zuziehen, ist die Zahl von 530 Interessenten hoch, wenn man sie mit der üblichen Zahl von Neueinsteigern vergleicht. Diese lag in den vergangenen Jahren bei rund 90 pro Jahr. Über 500 Neueinsteiger wären also gleichbedeutend mit der Entlassung von sechs Ausbildungsjahrgängen auf einen Schlag.
Auch wenn der Markteintritt dieser neuen Gruppe noch bevorsteht, steigt der Konkurrenzdruck schon jetzt: Weil in der Schweiz niedergelassene, angestellte Zahnärzte schon heute eine Anerkennung ihrer Diplome beantragen können, hat das Buhlen zusätzlicher Zahnarztpraxen um Kunden bereits eingesetzt. Nach Angaben von Kantonszahnarzt Fischer sind dieses Jahr aus den zahnmedizinischen Kliniken und den Ostschweizer Kantonen rund 40 EU-diplomierte Zahnärzte namentlich aus Deutschland im Kanton Zürich tätig geworden. Fischer nennt als Beispiel das Fachgebiet der Kieferorthopädie, auf dem sich der Konkurrenzdruck massiv erhöhen dürfte. Zurzeit praktizieren im Kanton 30 Kieferorthopäden. 20 weitere Fachzahnärzte aus dem EU-Raum interessieren sich laut Fischer ernsthaft für eine Praxistätigkeit im Kanton Zürich.
Sinken die Preise?
Für die Patienten eröffnet der mutmasslich bald schärfere Wind im Zahnärztegewerbe Chancen, schliesslich dürften die im internationalen Vergleich offenbar komfortabel angesetzten Tarife ins Rutschen kommen. Die angefragten Fachleute bestätigen das mögliche Szenario der sinkenden Preise. Der Präsident der Zahnärztegesellschaft des Kantons Zürich, Beat Wäckerle, gibt aber zu bedenken, dass die Kundschaft von Zahnärzten üblicherweise sehr treu sei. Gewiss ist seiner Meinung nach, dass der Druck auf längere Öffnungszeiten und transparente Diskussion von Behandlungsart und Preis zunimmt. Wäckerle geht von einer Marktbereinigung aus und sieht diejenigen Praxen auf der Gewinnerseite, welche "auf dem Stuhl" den besten Service liefern. Der Kunde wolle eine rasche, gute und freundliche Behandlung. Wer mit viel Geld für viel Drumherum beim Zahnarzt werbe, bleibe ohne Erfolg.
Auch Werner Fischer, der im Auftrag der Gesundheitsdirektion den Zahnärztemarkt überblickt, rechnet mit Druck auf die Preise. Er habe aber auch die Sorge, dass das hohe Schweizer Qualitätsniveau schleichend sinke. Wenn ein Kunde einen billigeren Zahnarzt wähle, dafür aber die Füllung schon nach fünf statt nach zehn Jahren erneuern lassen müsse, spare er wenig. Sorgen machen ihm auch Zahnärzte, die sich stundenweise in Grosspraxen einmieten. Heute sind Zahnärzte beispielsweise dazu verpflichtet, Röntgenbilder und Krankengeschichten zehn Jahre lang aufzubewahren. Das einzufordern, sei bei Wanderzahnärzten schwierig, stellt Fischer fest.
Qualitätslabel als Schutzschild
Die Schweizerische Zahnärztegesellschaft will der neuen Konkurrenz mit einem Qualitätsausweis entgegentreten. Wer diesen Weiterbildungstitel in allgemeiner Zahnmedizin beantragen will, muss die erforderliche Grundausbildung haben und sich über eine strukturierte Weiter- und Fortbildung ausweisen. Einen Entscheid über das Gütesiegel fällt die Gesellschaft im Mai.
--- ENDE Pressemitteilung Deutsche Zahnärzte drängen nach Zürich ---
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