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Ist der eigene Kleiderschrank eine gezielte Zusammenstellung modischer Stücke oder eine mehr oder weniger zufällige Ansammlung von Kleidung? Was bewegt Menschen dazu, eine textile Sammlung anzulegen? Was macht ein textiles Objekt wertvoll oder sammlungswürdig? Für die einen ist es der monetäre Wert oder eine Frage des Prestiges. Für andere zählt die emotionale Bindung oder eine damit verbundene Erinnerung. Wieder andere sehen im Nutzungswert den entscheidenden Grund: Kleidung, die nicht nur archiviert, sondern auch getragen werden kann.
Bewusstes Sammeln ist mehr als blosses Anhäufen und Aufbewahren. Es ist ein gezieltes, geordnetes Zusammenstellen nach individuellen Kriterien wie zum Beispiel einem besonderen Thema, der Ästhetik oder der Geschichte von Objekten. Mode nachhaltig zu sammeln, bedeutet Qualität vor Quantität zu stellen, bestimmte Stücke gegenüber anderen zu bevorzugen und sie langfristig durch Reparatur, Pflege und Restaurierung zu erhalten. Mode bewegt sich dabei immer in einem Spannungsfeld zwischen Bedecken und Sichtbar-Machen, Zugehörigkeit und Abgrenzung, Zeitgeist und Zeitlosigkeit. Wer sammelt, entscheidet also, welche dieser Facetten für die Zukunft bewahrt werden.
Das Gegenteil des bewussten Bewahrens von Kleidung thematisiert die Künstlerin Andrea Vogel in einer multimedialen Installation: Achtlos weggeworfene Kleidungsstücke, die als Abfall auf der Strasse landen. In ihrem dreiteiligen Werk zeigt sie, an welchen unerwarteten Orten Textilien auftauchen können und was aus dem scheinbaren Abfall entstehen kann. Der Titel der Arbeit Die Lumpensammlerin (2024/25) spielt auf eine historische Berufsgattung an, als zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert aus gebrauchten Textilien Papierbögen hergestellt wurden.
Eine zweite künstlerische Position L’Etreinte (2020-2025) der Genfer Fotografin Rebecca Bowring setzt sich mit dem Erbe von Sammlungen auseinander. Was geschieht mit einer Sammlung, wenn die Sammlerin nicht mehr ist? Die Künstlerin war nach dem Tod ihrer Mutter mit den materiellen Spuren eines geliebten Menschen konfrontiert, darunter eine Sammlung wertvoller Seidenschals und ‚Paper Doilies‘, Symbole ihrer Grosszügigkeit und Gastfreundschaft. Auf der Suche nach der Essenz der Person schuf sie neue, fragile Erinnerungen und textile Umarmungen.
Von T-Shirts bis Haute Couture
Die vier privaten Sammler:innen Rosmarie Amacher, Marcus Gossolt, Beata Sievi und Reto Salis Gross sammeln aus Leidenschaft. Sie erlauben den Besuchenden in der Ausstellung Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture einen Blick in ihre sorgfältig kuratierten Kollektionen. Die präsentierten Stücke wurden in enger Zusammenarbeit mit den Sammler:innen ausgesucht und repräsentieren prägende Momente der Modegeschichte sowie biografische Stationen der Besitzer:innen. Was sie eint, ist die Wertschätzung für das textile Handwerk, für besondere Verarbeitungstechniken, hochwertige Materialien und den gesellschaftlichen Wert, der in den Kleidern steckt.
Die Haute-Couture-Schneiderin Rosmarie Amacher besitzt eine umfassende Sammlung Schweizer Kleider und Kostüme, die im Rahmen der von ihr gegründeten Swiss Textile Collection bewahrt wird. Beata Sievi, Corset Artist und Modefachfrau, hat ihre Sammlung historischer Lingerie und Korsetts kürzlich um zahlreiche Stücke erweitert, um Techniken, Geschichten und Materialität zu dokumentieren. Für beide sind die Sammlungsstücke kulturhistorische Schätze, die Einblicke in die Textil- und Modegeschichte geben und für zukünftige Generationen textilaffiner Menschen bewahrt werden müssen.
Der gebürtige St.Galler Kreateur Marcus Gossolt sammelt einzigartige T-Shirts, während Reto Salis Gross, von Beruf Zahnarzt, Herrenbekleidung der 1920er- bis 1940er-Jahre zusammenträgt. Für beide stehen die Funktion und die Bedeutungsgeschichte einzelner Stücke im Vordergrund. Sie tragen ihre Sammlungsstücke im Alltag und nutzen sie als Ausdruck ihrer Identität.
In persönlichen Interviews beantworten die Sammlerinnen und Sammler Fragen zur Faszination, Motivation und den damit verbundenen Herausforderungen und Verpflichtungen. Wieso will man so viele Dinge besitzen? Welche persönliche Beziehung haben sie zu den Objekten? Und wie kamen sie dazu, dieser Tätigkeit nachzugehen? Ergänzt werden die Testimonials durch Fotografien, die die Sammlungen an ihrem Aufbewahrungsort zeigen, sei es im Wohnzimmer, im Kellergeschoss oder in einer Ecke des Büros. So erhalten die Besuchenden Einblicke in die Vielseitigkeit, die Ordnung und Aufbewahrungsbedingungen der Kollektionen.
Die Sammlung des Textilmuseums St.Gallen
Der Textilindustrielle und Sammler Leopold Iklé (1838–1922), eines der Gründungsmitglieder des Textilmuseums St.Gallen, drückte es einst so aus: „Bei der Vielseitigkeit der Industrie und dem Wechsel der Mode sind aber alle guten Vorbilder früher oder später von Nutzen.“ Dieser Gedanke prägt das Selbstverständnis des Textilmuseums bis heute. Seit seiner Gründung versteht es sich als Wissensspeicher und Inspirationsquelle. Ein Ort, an dem Stickereien, Stoffabschnitte, Musterbücher und Fotografien gesammelt, bewahrt und immer wieder neu interpretiert werden.
Die aktuelle Ausstellung macht diesen Anspruch sichtbar und zeigt einzigartige Stücke aus der Sammlung. Zu sehen sind das erste Kleidungsstück, das je erworben wurde, sowie ein Kleid aus bedruckter Wolle aus den 1860er-Jahren, das erstmals öffentlich präsentiert wird. Ergänzt werden diese historischen Highlights durch Neuerwerbungen aus dem Jahr 2024, darunter ein selbstgenähtes Hochzeitskleid aus den 1970er-Jahren, gefertigt aus Stoffen und Stickereien St.Galler Textilproduzenten – ein Sinnbild für die lebendige Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Ein besonderes Augenmerk gilt auch den 1920er-Jahren, die in der Sammlung durch ihre leuchtende Farbigkeit und die Verbindung von Art-déco-Formen mit traditionellen und märchenhaften Motiven hervorstechen. In dieser Zeit kombinierten Textilproduzenten handwerkliche Techniken mit Maschinenstickerei und experimentierten mit neuen, farbechten Farbstoffen – sichtbar in ausdrucksstarken Textilien und einzigartigen Schürzen, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden.
Heute richtet das Textilmuseum seinen Blick bewusst auf die Gegenwart. Im Zentrum stehen historische und zeitgenössische Kleidungsstücke, die in der Schweiz hergestellt oder getragen wurden. Ziel ist es, neue Perspektiven auf die Textilgeschichte der Ostschweiz zu eröffnen und bisher ungehörte Stimmen – insbesondere von bislang wenig vertretenen Personen und Gemeinschaften – sichtbar und hörbar zu machen.
Im Erdgeschoss werden die Fragen nach Wert und Faszination, nach Überfluss und Verantwortung an die Besuchenden zurückgespielt. Mittels interaktiver Stationen kann so dem eigenen Sammlungsverhalten auf den Grund gegangen werden. In Zusammenarbeit mit einer Stilberaterin entstand dafür ein Kleiderschrank voller konkreter Fragen und Tipps. Anhand dieser kann der eigene Stil analysiert und der heimische Kleiderschrank nach dem Besuch womöglich zu einer gezielteren Textilsammlung umgestaltet werden.
Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture zeigt, dass Sammeln mehr ist als Bewahren: Es ist ein lebendiger Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zwischen Gesellschaft und Individuum, der immer wieder neue Geschichten entstehen lässt und frische Perspektiven eröffnet.
Laufzeit: 24. Oktober 2025 – 25. Mai 2026
Ort: Textilmuseum St.Gallen, Vadianstrasse 2, 9000 St.Gallen, Schweiz
Projektleitung und Kuration: Sina Jenny
Szenografie und Ausstellungsgrafik: Jaira Peyer
Sammlungskuration: Luba Nurse
Wissenschaftliche Mitarbeit: Claudia Merfert, Liliane Vogt
Leihgeber:innen: Rosmarie Amacher (Swiss Textile Collection), Marcus Gossolt, Reto Salis Gross, Beata Sievi
Textilmuseum St.Gallen
Vadianstrasse 2
9000 St. Gallen, Schweiz
Die Sammlungen des Textilmuseums und der Textilbibliothek St. Gallen gehen in ihren Ursprüngen auf die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und stehen in der Tradition der Gewerbemuseen und Mustersammlungen, die in jener Zeit europaweit gegründet wurden.
Sie sollen der Industrie als Inspiration und Vorbild der eigenen Produktion dienen und den „guten Geschmack“ bilden. 1863 beginnt das Kaufmännische Directorium – die Vereinigung der St. Galler Kaufleute – gezielt weltweit Mustervorlagen für die heimischen Produzenten zu sammeln und baut den bereits existierenden Bestand systematisch aus. 1878 kommt es zur Gründung des Museums.
Im Laufe der Zeit wird die Sammlung durch Ankäufe, vor allem auch durch Schenkungen bedeutender Privatsammlungen und Archive der Textilindustrie erweitert. Von grösster Bedeutung ist die Sammeltätigkeit der Fabrikantenfamilie Iklé. Seinem Gründungsgedanken, Quelle der Inspiration für Entwerfer und Designer zu sein, fühlt sich das Haus bis heute verpflichtet.
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