Viele Menschen in der Schweiz können den öffentlichen Verkehr (ÖV) nicht oder nur beschränkt nutzen, zum Beispiel weil sie eine Geh- oder Sehbehinderung haben. Um dennoch am öffentlichen Leben teilzuhaben, sind die Betroffenen auf ÖV-ergänzende Fahrdienste angewiesen. Wie eine Studie der ZHAW nun zeigt, wird die gleichberechtigte Mobilität von Menschen mit Behinderung durch verschiedene Faktoren erschwert.
Angebote variieren oder fehlen gänzlich
Teilweise haben Menschen mit Behinderung keinen Zugang zu ÖV-ergänzenden Fahrdiensten, da die Kantone nicht verpflichtet sind, solche anzubieten. Zudem besteht kein überregionales Angebot, was Fahrdienste für längere Distanzen erschwert und Menschen mit Behinderung an gewissen Aktivitäten hindert. «Besonders überraschend war die Erkenntnis, dass die Finanzierung der Fahrdienstfahrten meist zweckgebunden ist. Die Fahrten von Kostenträgern wie der IV sind nur subventioniert, wenn sie einem bestimmten Zweck, wie die Fahrt zur Arbeit oder die Fahrt zur Therapie, entsprechen», sagt Brigitte Gantschnig, Studienleiterin und Leitung F&E am Institut für Ergotherapie am ZHAW Departement Gesundheit. Das bedeute, dass Fahrten für Freizeitaktivitäten (z.B. Besuch bei Verwandten) nur teilweise übernommen werden. Die Kosten von Fahrdiensten seien zudem deutlich höher als für Fahrten im ÖV, weshalb viele Menschen mit Behinderung auf gewisse Alltagstätigkeiten vollständig verzichten.
Rechtslage und Finanzierung nicht eindeutig geklärt
Gemäss der ZHAW-Studie sind ÖV-ergänzende Fahrdienste in der Schweiz rechtlich unklar verortet, da die Zuständigkeit für diese Angebote nicht eindeutig beim Bund, den Kantonen oder den Gemeinden verankert ist. Aus Sicht von Ronald Liechti, Geschäftsführer der Stiftung Behindertentransport Kanton Bern, ist die Situation unbefriedigend: «Ohne vernünftige Rechtsgrundlagen gibt es keine nachhaltige Finanzierung, womit die Betroffenen weiterhin dem Spiessrutenlauf von Kasse zu Kasse – die dann oftmals doch nicht zahlt – ausgeliefert sind». Eine weitere Unsicherheit besteht punkto Finanzierung der Fahrdienste. Diese hängt von der Zuständigkeit von Kostenträgern (IV oder Krankenkassen) je nach Art der Behinderung sowie dem Wohnkanton der Nutzenden ab. In Bern ist das Netz an Fahrdiensten beispielsweise gut ausgebaut und die Nutzenden erhalten eine Pauschale zugesprochen.
Die Handlungsempfehlung der Forschenden fokussieren besonders auf die rechtliche Verankerung. «Die Fahrdienste sollten dem Bundesgesetz über die Personenbeförderung (PBG) unterstellt werden, damit Menschen mit Behinderung Fahrten über ein Planungs- und Buchungssystem organisieren können, sie von Abonnementen wie dem Halbtax profitieren, und damit die Kosten der Fahrstrecken gleich hoch wären wie im ÖV. Dies würde wesentlich zu einer gleichgestellten und inklusiven Mobilität beitragen», betont Gantschnig. Statt den Kantonen die Verantwortung zu überlassen, schlagen die Forschenden zudem vor, die Fahrdienste national zu koordinieren und auch die Bezahlung schweizweit einheitlich zu regeln.
Nutzung von ÖV-ergänzenden Fahrdiensten
Insgesamt nahmen 594 Menschen mit und ohne Behinderung an den Studien des Projektes teil. Davon waren 336 (57%) Frauen, 256 (43%) Männer und zwei anderen Geschlechts. Die Teilnehmer:innen waren zwischen 18 und 103 Jahren alt (m=62,4, SD=19,6). ÖV-ergänzende Fahrdienste werden laut Studie zu unterschiedlichen Zwecken genutzt: für Therapie- und Arztbesuche, Freizeitaktivitäten, Einkäufe oder Arbeitswege. Hauptsächlich werden Fahrdienste für kurze Strecken eingesetzt. Der Service der Fahrdienste wird besonders wegen der persönlichen Betreuung von Fahrer:innen, der Verlässlichkeit und der Sicherheit geschätzt. Die Nutzung der Fahrdienste variiert je nach Person. Während einige auf alternative Fahrdienste zurückgreifen können, sind für andere diese die einzige Option. Die Teilnehmenden gab an, dass sie die ÖV-ergänzenden Fahrdienste als eine wichtige Unterstützung für die Ausführung ihrer täglichen Aktivitäten und die gesellschaftliche Partizipation schätzen.
Studie «Gleichberechtigte Mobilität dank ÖV-ergänzender Fahrdienste?»
Im
Rahmen der Studie «Gleichberechtigte Mobilität dank ÖV-ergänzender Fahrdienste?» erfassten
Forschende der ZHAW-Departemente Gesundheit und der School of Management and Law die
Erfahrungen von Menschen, die ÖV-ergänzende Fahrdienste nutzen und untersuchten die
rechtlichen Grundlagen der ergänzenden Fahrdienste in der Schweiz. Das Projekt wurde in
Zusammenarbeit mit der Stiftung Behindertentransport Bern (BTB), AGILE.CH und der Universität
Luzern durchgeführt und vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit
Behinderungen (EBGB), der Stiftung BTB, Pro Infirmis und der ZHAW finanziert.
Kontakt
Prof. Brigitte E. Gantschnig
Leitung Forschung und Entwicklung am Institut für Ergotherapie
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