In der Schweiz ist rund jedes sechste Kind übergewichtig - Tendenz steigend. Das ist bedenklich, denn starkes Übergewicht erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes. "Schon seit längerem weiss man, dass bei der Entstehung von Übergewicht die Darmflora eine wichtige Rolle spielt", sagt Maria Luisa Balmer, Fachärztin für Innere Medizin am Inselspital und Forschungsgruppenleiterin an der Universität Bern. Doch dieser Zusammenhang ist komplex. In ihrer Forschung untersucht Balmer wie Darmbakterien, deren Stoffwechselprodukte und das Immunsystem (*1) zusammenspielen.
Für ihre Forschungsarbeit erhält sie vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) den Marie Heim-Vögtlin-Preis 2023. Die Preisverleihung findet am 21. November an der Universität Bern statt.
Aufgespürt: dickmachende Bakterien
Was man bereits weiss: Krankhaft übergewichtige Menschen haben meist eine andere Darmflora als schlanke, gesunde Personen. So wachsen bei ihnen bestimmte Bakterienarten sehr stark und verdrängen andere. Doch was bedeutet das? Und ist die veränderte Darmflora Ursache oder Folge des Übergewichts? Diese Fragen untersucht die Forscherin unter anderem mit keimfreien Mäusen, die an der Universität Bern in einer weltweit einzigartigen Anlage gezüchtet werden. "An diesen Tieren können wir den Einfluss einzelner Bakterienarten untersuchen und Ursache-Wirkung-Beziehungen aufklären", erklärt Balmer.
Auf diese Weise konnte ihr Team tatsächlich fünf Bakterienarten identifizieren, die die Mäuse anfälliger für Übergewicht machten. Im nächsten Schritt will das Team analysieren, wie dieser Einfluss zustande kommt - etwa, welche bakteriellen Stoffwechselprodukte zum dickmachenden Effekt beitragen und wie diese das Immunsystem beeinflussen.
In einer Vorgängerstudie hatte Balmer bereits gezeigt, dass das Stoffwechselprodukt Acetat eine positive Auswirkung auf Immunzellen hat (*2). Damit verdeutlichte die Forscherin die Verbindung zwischen der Ernährung, der Darmflora und dem Immunsystem. Denn Acetat entsteht unter anderem wenn Bakterien im Darm Nahrungsfasern, wie sie in Gemüse oder Vollkornprodukten enthalten sind, verstoffwechseln.
Mit Kaugummi die Gesundheit fördern
Den Einfluss von Nahrungsfasern untersucht Balmers Forschungsgruppe zurzeit näher in einer klinischen Studie mit über 100 stark übergewichtigen Kindern. Dafür hat das Team einen Kaugummi entwickelt, der mit wasserlöslichen Nahrungsfasern angereichert ist - eine komplett neue Idee. Der Clou: Der "FibreGum" wird von den Kindern nicht als Medizin wahrgenommen. Er schmeckt nach Minze wie ein normaler Kaugummi. Quasi unbemerkt soll er den Darmstoffwechsel der Kinder fördern und ihnen gleichzeitig helfen, das Naschen anderer Süssigkeiten zu reduzieren. "Gerade für Kinder brauchen wir niederschwellige Behandlungen", sagt Balmer. Mit der Studie will sie feststellen, ob die mit dem FibreGum eingenommenen Nahrungsfasern tatsächlich die Darmflora verbessern - und letztlich, ob die Kinder dadurch einfacher abnehmen.
Karrierebilder: "Es braucht ein Umdenken"
Für ihre Forschung war die Medizinerin 2020 bereits mit einer SNF Eccellenza-Fellowship ausgezeichnet worden. Jetzt den Marie Heim-Vögtlin-Preis zu erhalten, bedeute für sie eine riesige Anerkennung. Aber nicht nur: Sie sieht den Preis auch als Möglichkeit, sichtbar zu sein als Forscherin, die zugleich auch Ärztin und Familienfrau ist. "Was das angeht, braucht es in unserer Gesellschaft dringend ein Umdenken", betont Balmer. "Wir müssen unsere althergebrachten Rollenbilder von Gruppenleitern und Gruppenleiterinnen an den Hochschulen anpassen." Denn für berufstätige Paare sei die Messlatte utopisch hoch - nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter. "Mir ist es wichtig vorzuleben, dass man auch mit Familie oder zeitintensiven Hobbys spannende Forschung betreiben und erfolgreich sein kann - wenn man Menschen hat, die einen unterstützen."
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Auszeichnung für exzellente Forscherinnen
Mit dem Marie Heim-Vögtlin-Preis würdigt der SNF jedes Jahr eine hervorragende Nachwuchsforscherin. Die Gewinnerinnen sind inspirierende Vorbilder. Während der Laufzeit ihres SNF-Förderbeitrags konnten sie bemerkenswerte Resultate erzielen und ihre Karriere entscheidend vorantreiben. Seit 2020 geht der Preis an eine ehemalige Beitragsempfängerin der Förderinstrumente MHV, Doc.CH, Postdoc.Mobility, Ambizione oder PRIMA.
Marie Heim-Vögtlin, die Namensgeberin des Preises, wurde 1868 als erste Schweizerin an der Universität Zürich zum Studium an der medizinischen Fakultät zugelassen. Nach dem Abschluss des Studiums eröffnete sie eine Praxis für Gynäkologie, die sie nach der Geburt ihrer zwei Kinder weiterführte. Sie zählt zu den Vorreiterinnen im Kampf für den Zugang der Frauen zu akademischer Bildung.
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Der Text dieser Medienmitteilung, zwei Download-Bilder,
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